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Jenny und Ruth Iller: Verfolgung und Flucht im Nationalsozialismus

Jenny Iller wurde zusammen mit ihrer Tochter Ruth am 11. März 1943 in die Gestapo-Dienststelle in der Frankfurter Lindenstrasse einbestellt und dort verhaftet. Die Verhaftung erfolgte im Rahmen der 1942/1943 von der Frankfurter Gestapo durchgeführten »Aktion zur kalten Erledigung der Mischehen«. Ziel der Nazis war es, die jüdischen Ehepartner_innen sogenannter »Mischehen« zwischen Christen/Christinnen und Juden/Jüdinnen zur Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu erfassen. Neben »einfachen Mischehen« zwischen jüdischen Männern und christlichen Frauen definierten die Nationalsozialist_innen eheliche Verbindungen zwischen »deutschblütigen« christlichen Männern und jüdischen Frauen, die vor den 1935 erlassenen »Nürnberger Rassegesetzen« geschlossen wurden, als »privilegierte Mischehen«.

Fahndungsfoto der Frankfurter Gestapo von Jenny Iller, 1943
Fahndungsfoto der Frankfurter Gestapo von Jenny Iller, 1943: Bei einem Gestapo-Verhör ­nutzte Ruth Iller eine Chance, das Fahndungsfoto ihrer Mutter Jenny aus der Gestapo-Akte zu entfernen. Somit wusste niemand mehr, wie die Gesuchte ausgesehen hat. Mutter und Tochter gelang die Flucht und im Spessart erlebten beide im Mai 1945 die Befreiung durch die Amerikaner. Jenny Iller lebte bis dahin circa 2 Jahre im Untergrund. Ihre Tochter Ruth lebt bis heute in Frankfurt. (Quelle: Privatarchiv von Eric Brück)

Das »Privileg« dieser Ehen bestand nach den Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in Berlin in einem relativen Schutz vor Deportation und Ermordung. Die Frankfurter Gestapo ersann trotzdem Mittel und Wege, dem so definierten Personenkreis habhaft werden zu können. So auch im Falle der Jüdin Jenny Iller. Neben den jüdischen Ehepartnerinnen sogenannter »privilegierter Mischehen« wurden gerade in Frankfurt oftmals auch die Kinder, die aus diesen Ehen hervorgegangen sind, als »Mischlinge« verfolgt und ermordet.

So kam Jenny Iller, damals 48 Jahre alt, zusammen mit ihrer von den Nazis als »Mischling« eingestuften 19jährigen Tochter Ruth nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo über eine Art Notgefängnis in der Gutleut­strasse wenig später in das Klapperfeld. Die Haftbedingungen waren grausam. Der Ehemann von Jenny Iller und Vater von Ruth kämpfte von Anfang an um die Rettung seiner Familie. Von einem befreundeten Apotheker besorgte er ein relativ harmloses Gift, welches Fieber und Brechreiz verursachte. Dieses Mittel wurde durch die Hilfe einer Gefängniswärterin in die Gefängniszellen hineingeschmuggelt. Der Plan bestand darin, durch die Einnahme des Giftes in das Polizeikrankenhaus im Hermesweg eingeliefert zu werden und von dort aus zu fliehen.

Doch die Gestapo hatte bereits den Transportschein nach Auschwitz unterschrieben. So kam Ruth, die als erste das Gift eingenommen hatte, nach wenigen Tagen wieder zurück in das Klapperfeld. Auch ihre Mutter Jenny nahm das Gift wenige Zeit später ein, ihr aber gelang die Flucht mit Hilfe von Freunden aus dem Polizeikrankenhaus. Sie konnte kurz nach der Flucht erst einmal im Frankfurter Westend bei Freunden untertauchen. Ruth wurde etwas später auf Befehl aus Berlin aus dem Klapperfeld entlassen. Dieser Umstand lässt sich höchstwahrscheinlich auf die Intervention des Berliner Bischofs Wienken zurückführen, der sich besonders für die halbjüdischen Kinder einsetzte.

Mit Hilfe des Ehemanns und Vaters gelang den beiden über Umwege 1944 die Flucht aus Frankfurt. Mutter und Tochter versteckten sich bei einer hilfsbereiten Familie im Spessart. Bevor die Flucht von dort aus nach Wiesbaden weiterging, wo sie erneut bei Fluchthelfern unterkamen, ersannen die Eheleute Iller den Plan, einen Selbstmord von Jenny vorzutäuschen. Dazu verstreute der Ehemann Kleider seiner Frau am Main.

Und dann nutzte Ruth bei einem weiteren Gestapo-Verhör die Chance und klaute das Fahndungsfoto ihrer Mutter aus der Akte, damit niemand mehr wusste, wie die Gesuchte aussah.

Das tat sie, ohne den Plan ihrer Eltern zu kennen, die aus Schutz vor weiteren Verhören ihre Tochter erst einmal nicht einweihten.

Von Wiesbaden ging die Flucht wieder zurück in den Spessart, wo beide im Mai 1945 die Befreiung durch die Amerikaner erlebten.

Jenny Iller lebte bis dahin circa 2 Jahre im Untergrund. Ihre Tochter Ruth lebt bis heute in Frankfurt.

Sonderausweis von Jenny Iller, Außenseite
Sonderausweis von Jenny Iller, Innenseite
Sonderausweis für Jenny Iller, ausgestellt 1947: Ausweis für Personen die während des Nazi-Regimes aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen in Haft waren (Quelle: Privatarchiv von Eric Brück)