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Die Entstehung des Klapperfelds und die Ausbildung eines Polizeiapparats

Die Entstehung des Polizeigefängnisses auf dem Klapperfeld als Teil der Ausbildung eines Polizeiapparates in Frankfurt am Main: Mit dem Jahr 1886 fällt die Erbauung des Polizeigefängnisses auf dem Klapperfeld in eine Hochphase tiefgreifenden sozialen Wandels, der gemeinhin mit der Industrialisierung in Verbindung gebracht wird, welche ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum intensiv einsetzte. Dieser Wandel beinhaltete einen enormen Bevölkerungszuwachs einhergehend mit fortschreitender Verstädterung und Urbanisierung, welche auch in Frankfurt ihre ortsspezifische Wirkung entfalteten. Mit diesen sozialen Entwicklungen ging eine Veränderung des Herrschaftsapparates einher. Sie fand in der Herausbildung des modernen europäischen Staates mit seinem Anstaltscharakter und der Monopolisierung physischen Zwangs ihren vorläufigen Endpunkt.

Aufnahme des nicht mehr erhalteten Polizeipräsidiums an der Ostzeil und des dahinter stehenden Polizeigefängnisses rund zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung aus süd-west­licher Richtung
Aufnahme des nicht mehr erhalteten Polizeipräsidiums an der Ostzeil und des dahinter stehenden Polizeigefängnisses rund zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung aus süd-west­licher Richtung: Im Hintergrund links am nördlichen Ende der Klingerstraße ist der noch einge­rüstete sog. »Justizpalast« (heute Amtsgericht) zu sehen, welcher 1888 fertig ­gestellt wurde. Bei dem Gebäude, dessen Dach deutlich zwischen Polizeigefängnis und Polizei­präsidium zu sehen ist, handelt es sich um das sogenannte »Unter­suchungs-Gebäude«, wo Prostituierte eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen mussten. Seine Grundrisse sind heute noch in der süd-west­lichen Ecke des Gefängnishofs zu erahnen. (Quelle: de.wikipedia.org)

Die Errichtung des Polizeigefängnisses und des heute nicht mehr erhaltenen Polizeipräsidiums auf dem Klapperfeld nördlich der Ost-Zeil waren Teil der Implementierung eines modernen Polizeiapparats nach preußischem Muster, welcher sich, historisch gesehen, nur kurz zurückverfolgen lässt. Allerdings bildeten sich schon relativ früh Strukturen heraus, die auf einen solchen Wandel hindeuten. So wurden, innerhalb des im Laufe des 13. Jahrhunderts zur »freien Reichsstadt« gewordenen Frankfurt am Main, vom Stadtrat erlassene Verordnungen meist von Personen wie z. B. dem Torwächter, Nachtwächter oder Gefangenenwärter vollzogen, die wenn nötig dazu bestellt waren, in alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens der Einwohner_innen einzugreifen. Ab dem 14. Jahrhundert wird auch zum ersten Mal ein öffentlich rechtliches Strafrecht greifbar, das nach und nach an die Stelle des auf materielle Entschädigung und Versöhnung abzielenden Sühneverfahrens trat. Es hatte sich somit die Überzeugung festgesetzt, dass eine institutionalisierte Geld-, Leib-, oder gar Todestrafe, welche in der Regel öffentlich vollzogen wurde, ein zur Aufrechterhaltung der »öffentlichen Ordnung« sinnvolles Mittel darstellen könnte. Dabei wurde dieses Mittel äußerst selektiv – zum Beispiel viel häufiger gegen Nicht-Bürger_innen als gegen Bürger_innen der Stadt Frankfurt – eingesetzt.

Diese selektive, an den Status bestimmter Personengruppen gebundene Rechtsanwendung änderte sich in Frankfurt zwischenzeitlich mit der Einführung des Code Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) und des Code Pénal (Strafgesetzbuch) im Jahre 1811 in Folge der Eroberungen unter Napoleon Bonaparte. Im Zuge dessen wurde auch die mittelalterliche Struktur des Polizeiwesens, in der alle polizeilichen Funktionen auf verschiedene Funktionsträger verteilt waren, durch einen Polizeikörper als gegenüber der inneren Verwaltung selbstständigen Einrichtung ersetzt. Hierdurch wurde erstmals auch in Frankfurt eine systematische Polizeiarbeit eingeführt, diese Entwicklung allerdings in Folge der Restauration ab 1815 wieder rückgängig gemacht.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es dann in Frankfurt zu zwei einschneidenden Ereignissen: Sie lassen einen aufschlussreichen Blick auf obrigkeitliches Agieren zu, welches im heutigen Verständnis als polizeiliche Aufgabe aufgefasst würde. Das erste Ereignis bestand im sogenannten »Frankfurter Wachensturm« 1833, bei dem es zu einem überwiegend von Burschenschaftlern getragenen Aufstand kam, im Zuge dessen die Hauptwache und Konstabler Wache mit dem Ziel der Auslösung einer nationalen Revolution gestürmt wurden. Das zweite ereignete sich im September 1848, als die in Frankfurt tagende »Nationalversammlung« vorübergehend den Anspruch auf Schleswig-Holstein aufgab, indem sie den Vertrag von Malmö annahm. Dies löste heftige, völkisch gesinnte Straßenschlachten aus. Beide Erhebungen wurden mit militärischen Mitteln niedergeschlagen; dies verdeutlicht, dass die Aufrechterhaltung der »öffentlichen Ordnung« durch repressive Maßnahmen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt als eine militärische Aufgabe angesehen wurde.

In dieselbe Periode fiel auch die nahezu vollständige Ablösung des Instruments der Körperstrafe durch dasjenige der Haft. Ein grundlegender Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Repression bestand neben der vermeintlichen Zivilisierung vor allem darin, dass beide Methoden gegensätzlich mit dem Faktor Öffentlichkeit umgingen: Statt der auf Abschreckung zielenden öffentlichen Züchtigung wurde nun die Entfernung der Delinquenten aus der Öffentlichkeit als probates Mittel gegen abweichendes Verhalten erachtet.

Eine grundlegende Änderung der Verhältnisse bezüglich eines Frankfurter Polizeiapparats trat dann 1866 ein: Im Zuge des preußisch-österreichischen Krieges wurde Frankfurt dem von Militär und Beamtentum geprägten Staate Preußens einverleibt. Dies zog eine Neuordnung der städtischen Verwaltung gemäß der preußischen Gemeindeordnung nach sich. Hierdurch wurde die Polizei wieder als eigenständige Organisation eingeführt, mit einem Polizeipräsidenten an der Spitze, welcher nicht dem städtischen Magistrat, sondern dem königlichen Justizminister in Wiesbaden unterstand.

Bekanntmachung General von Falckensteins anlässlich der militärischen Besetzung Frankfurts im Jahre 1866
Bekanntmachung General von Falckensteins anlässlich der ­militärischen Besetzung Frankfurts im Jahre 1866: Im Zuge des preußisch-österreichischen Krieges besetzte der ­kommandierende General der Main-Armee Vogel von Falckenstein am 16. Juli Frankfurt ohne jegliche Kampfhandlungen. Dies bedeutete zunächst die Unterstellung der Frankfurter ­Regierungsorgane unter militärische Führung. Dabei wurden erstere bis auf das Amt des ersten Bürgermeisters als »Regierungsbevollmächtigter« zunächst aufgelöst und erst unter einer Zivilverwaltung am 20. Juli als weisungsgebundene Gremien wiederhergestellt. (Quelle: Bibliothek der Goethe-Universität)

Die zentralisierenden Entwicklungen, welche sich aus den verschiedenen von Preußen geführten Expansionskriegen ergaben, kulminierten in der Reichsgründung 1871. Sie sind vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen tiefgreifenden sozialen Veränderungen zu sehen. Trotz des traditionell überwiegend bürgerlichen Profils der Stadt Frankfurt begann sich in erster Linie in den Vorstädten ein Proletariat zu bilden. Die Streikwellen, welche in der Gründerzeit nach dem Zugeständnis der Koalitionsfreiheit 1869 stattfanden, und Phänomene wie das ›Schreckensbild‹ der Pariser Kommune von 1871 führten dazu, dass die Angst der Obrigkeit und der bürgerlichen Klassen vor revolutionären Bewegungen zunahm.

In Frankfurt materialisierte sich das nun endgültig umgehende Gespenst am 21. April 1873 in einem sogenannten »Bierkrawall«: Als der Preis des Bieres, welches von den arbeitenden Klassen als Grundnahrungsmittel angesehen wurde, durch die Brauereien von
4 auf 4½ Kreuzer angehoben wurde, kam es am arbeitsfreien letzten Tag der Frühjahrsmesse (im Frankfurter Volksmund als »Nickelchestag« bekannt) zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die städtische Polizei war mit ihren 52 Schutzmännern mit dieser Situation vollends überfordert, was ein weiteres Mal den Einsatz des Militärs nach sich zog. 18 Personen kamen nach offiziellen Angaben in Folge dessen ums Leben.

Dieses Ereignis, welches in Frankfurt den größten Aufruhr zwischen 1848 und 1918 konstituierte, hatte auf den gesamten deutschsprachigen Raum bezogen keinen einmaligen Charakter. Aufgrund dessen und des in allen politischen Lagern zunehmenden Eindrucks eines akuten Klassenkampfes kamen die herrschenden Klassen Preußens zu der Ansicht, dass ein systematischer Ausbau des Polizeiapparates notwendig sei. Auffällig ist dabei die klare Motivation zur Unterdrückung möglicher Umsturzversuche und die starke Gewichtung der politischen Polizei, welche vor allem bei der Implementierung der Sozialistengesetze seit 1878 eine große Rolle spielte. Nachdem der Ausbau in Berlin und den Städten des Ruhrgebiets bereits in vollem Gange war, kam er im Laufe der 1870er Jahre auch in Frankfurt zum Tragen. Hier wurden die sog. »Schutzmannschaft« zahlenmäßig erweitert sowie ein Polizeipräsidium direkt an der neuen Zeil und dahinter das Polizeigefängnis auf dem Klapperfeld gebaut. Bisher hatte die Polizei noch auf städtische Einrichtungen zurückgegriffen.

Unter den kapitalistischen Bedingungen der Hochindustrialisierung erfolgte also eine offensichtliche innere Aufrüstung von Seiten des Staates gegenüber seinen ›Untertanen‹. Dass es sich hierbei keineswegs um eine begrenzte Entwicklung handelte, wird vor allem dadurch deutlich, dass 28 Jahre nach der Fertigstellung des Polizeipräsidiums auf dem Klapperfeld ein neues am Hohenzollernplatz bezogen wurde, wobei sich für das Gefängnis am ursprünglichen Ort noch über ein Jahrhundert weitere ›Verwendung‹ finden sollte.