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Erzählungen und nicht Erzählbares

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Klapperfelds

Im August 2008 besetzten Angehörige der Initiative »Faites votre jeu!« das ehemalige Jugendzentrum in der Varrentrappstraße 38. Ein selbstverwaltetes, unkommerzielles Zentrum entstand. Nach einigen Monaten der Besetzung, Anfang des Jahres 2009, drohte die Stadt Frankfurt der Initiative mit der Räumung des Gebäudes. Die Initiative war jedoch trotz dieser Räumungsandrohung nicht bereit das von ihr besetzte Haus zu verlassen und damit ihr Projekt aufzugeben. Gegen die Mitwirkenden der Initiative wurden Strafanzeigen gestellt. Nach langen Verhandlungen wurde ein Ersatzobjekt angeboten: das ehemalige Polizeigefängnis Klapperfeld.

Damals wurde innerhalb der Initiative »Faites votre jeu!« heftig darüber diskutiert, ob das ursprüngliche Programm an einem solchen Ort fortgesetzt werden könne. Während das ehemalige Jugendzentrum in Bockenheim in einer Tradition der Selbstverwaltung stand, war und ist das Klapperfeld ein Ort, der über hundert Jahre der Repression und Unterdrückung von Menschen diente. In dem Bau – in dem die Gestapo während des Nationalsozialismus Menschen gefoltert und ermordet hatte und in dem noch bis vor wenigen Jahren Abschiebegefangene inhaftiert waren – Ausstellungen, Infoveranstaltungen, Barabende oder gar Konzerte und Partys zu veranstalten, ohne eine Auseinandersetzung mit der Geschichte zu führen, war für die Initiative ausgeschlossen. Schnell war es Konsens, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit des Gefängnisses eine unerlässliche Bedingung für die zukünftige Nutzung des Gebäudes als selbstverwaltetes Zentrum sein würde.

Schon im Februar 2009, noch während der laufenden Verhandlungen mit der Stadt, fanden sich mehrere Personen der Initiative »Faites votre jeu!« im »Arbeitskreis Geschichte« zusammen. Dokumente und Literatur zur Historie des ehemaligen Polizeigefängnisses wurden in Archiven und Bibliotheken ausfindig gemacht. Auch eines der immer noch im Rahmen der Dauerausstellung gezeigten biografischen Interviews wurde bereits vor unserem Einzug ins Klapperfeld geführt.
Im August 2009 präsentierten wir den ersten Teil unserer Ausstellung. Seit September 2010 ist nun die erste Erweiterung dieser zu sehen. Sie stellt wie gehabt die bisherige geschichtspolitische Auseinandersetzung der Nutzer_innen des Gebäudes mit der Geschichte des Klapperfeldes dar.

Im Prozess der Selbstaneignung von Kenntnissen und Methoden und ohne über irgendwelche institutionellen Mittel zu verfügen, haben wir uns der Arbeit mit historischen Quellen gestellt und die Dauerausstellung konzipiert und verwirklicht. Dabei ist nach wie vor vorgesehen, dass die Ausstellung mit der Zeit kontinuierlich erweitert wird.

Gerade aus einem politischen Anspruch heraus sehen wir uns in unserer Arbeit mit grundsätzlichen Fragen einer kritischen Annährung an die historische Bedeutung des Gebäudes konfrontiert: Wie gelingt es, sich in angemessener Form der Geschichte eines Gefängnisses, das über ein Jahrhundert Ort der Ausgrenzung war, zu nähern? Und wessen Vergangenheit soll überhaupt erforscht und dargestellt werden – die Vergangenheit der Inhaftierten und Verfolgten, die Vergangenheit des Gefängnispersonals und der Verfolgungsbehörden oder die des Gefängnisses als gesellschaftliche Institution, die bis in die Gegenwart als Mittel zur Maßregelung von Menschen genutzt wird?

Biografische Interviews und die Perspektive der Verfolgten

Die biografischen Interviews in der ersten Ausstellung gaben eine erste und vorläufige Antwort auf diese Fragen und sie sind auch weiterhin ein Bestandteil der erweiterten Dauerausstellung. Sie geben Auskunft über die Lebens- und Verfolgungsgeschichten von ehemals im Klapperfeld Inhaftierten und konzentrieren sich dabei insbesondere auf die Nutzung des Gefängnisses durch die Gestapo zwischen 1933 und 1945.

Wir haben die Interviews als eine zentrale Form der Annäherung an die Vergangenheit des Klapperfelds gewählt, weil sie die historischen Blickwinkel der Ereignis-
und der Erlebnisgeschichte miteinander verbinden. Als einzelne, subjektive Blicke auf die Geschichte aus der Erzählperspektive von Zeitzeug_innen können sie zugleich als biografische Zeugnisse und als zeitgeschichtliche Dokumente der Historie des Gefängnisses gesehen werden.

Die lebensgeschichtlichen Erzählungen bieten damit einerseits die Möglichkeit, Informationen über das Klapperfeld zu erhalten, die aus der Arbeit mit schriftlichen Quellen nicht hervorgehen. Denn auf Grundlage von Akten und Dokumenten ist es nur eingeschränkt möglich, sich ein Bild von der Bedeutung des Polizeigefängnisses im Nationalsozialismus zu machen, zumal viele Akten der Gestapo in Frankfurt am Main zum Ende des Zweiten Weltkriegs hin vernichtet wurden.

Andererseits halten wir biografische Interviews aber auch für eine angemessene Form der Beschäftigung mit der Vergangenheit des Gefängnisses, weil sie die Perspektiven der Opfer von Verfolgung und Repression im Klapperfeld wiedergeben. Und den Perspektiven der Verfolgten – davon gehen wir aus – sollte der hier geöffnete Raum für Erinnerung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vorbehalten bleiben. Gerade im Kontext eines gesellschaftlichen Erinnerungsdiskurses, in dem die Grenzen zwischen Opfern und Täter_innen des NS-Regimes immer öfter verwischt werden, ist es uns wichtig, dass Täter_innen an diesem Ort nicht zu Wort kommen.

Jenseits aller Bemühungen, die Geschichten der Verfolgten in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen, mussten die gezeigten Interviews aber auch als Zeichen der Unabgeschlossenheit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Polizeigefängnisses Klapperfeld stehen.

Als individuelle Geschichten von Verfolgung können sie auch weiterhin nicht repräsentativ für die womöglich vielen tausend anderen persönlichen Erfahrungen von Repression, Disziplinierung und Misshandlung stehen, die Menschen in diesem Gebäude über ein Jahrhundert hinaus gemacht haben. Sie können höchstens den Blick darauf lenken, wie viele Geschichten nicht mehr erzählt und wie viele Erfahrungen nicht mehr bezeugt werden können.

Die Arbeit geht weiter! Möglichkeiten zur Auseinandersetzung

In der Erweiterung der Ausstellung haben wir an diesem Punkt angesetzt und versucht, jenseits von Interviews mit Zeitzeug_innen durch die Aufarbeitung weiterer Biografien von ehemaligen Insassen des Klapperfelds die Lücken der Erinnerung zumindest zu reduzieren. Dabei richteten wir unseren Blick auch darauf, was die im Klapperfeld inhaftierten Menschen tagtäglich ertragen mussten. Auch wurden neue Themenfelder wie die Planung und Nutzung des Gefängnisses am Ende des 19. Jahrhunderts, während der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit erschlossen.

Im Laufe unserer Arbeit kamen wir nicht umhin zu konstatieren, wie viel brauchbares Material für unsere Auseinandersetzung in den Archiven und der Literatur immer noch zu finden ist. Dies löste einige Überraschung aus, wurde uns doch von verschiedenen Seiten vermittelt, dass zur Geschichte des Klapperfelds und seiner Insass_innen kaum Quellen existieren würden. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Erinnerungsdiskurses, demzufolge die ›Aufarbeitung‹ des nationalsozialistischen Terrors abgeschlossen sei, zeigt nicht nur die Arbeit zur Geschichte des Klapperfelds, dass es einen dringenden Bedarf an einer andauernden Rekonstruktion der nationalsozialistischen Vergangenheit gibt. Im Hinblick auf diesen Zusammenhang und die Allgegenwart antisemitischer und rassistischer Positionen innerhalb der deutschen Gesellschaft kann die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wohl kaum als ›abgeschlossen‹ bezeichnet werden.

Nicht zuletzt deshalb hoffen wir, dass unsere Beschäftigung mit der Geschichte des Klapperfelds Anstoß für die weitere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an diesem und anderen Orten, für kritische Diskussionen und nicht zuletzt für die Erweiterung dieser Ausstellung bietet.