Eine Ausstellung des Förderverein Roma e. V. und des Künstlers Bernd Rausch
11. August 2009 bis 11. September 2009
Der Förderverein Roma e. V. wird anlässlich des 65. Jahrestages der Liquidation des »Zigeunerlagers« Auschwitz-Birkenau eine dokumentarisch künstlerische Ausstellung in den Räumen der ehemaligen Haftanstalt Klapperfeld in der Klapperfeldstraße 5, Frankfurt am Main, zeigen. Durch die unterschiedlichen Darstellungsweisen bietet die Ausstellung den Besuchern die Möglichkeit, sich mit der Verfolgung und Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus auf vielseitige Weise auseinanderzusetzen.
Der dokumentarische Ausstellungsbereich thematisiert die Täter, die Vernichtung der Roma und Sinti in Auschwitz, die Erinnerung der Opfer und Überlebenden. Fotos, Beschreibungen, Vorträge und Filme, u. a. ein 1962 von Valentin Senger geführtes Interview mit der NS-Rasseforscherin Eva Justin und ein Beitrag über die Vita der Romni Maria Weiss, erläutern die Position der Stadt Frankfurt am Main im Netz der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
16 Bilder des Saarbrücker Künstlers Bernd Rausch haben die Auslöschung, sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft der Roma und Sinti, durch die Nationalsozialisten zum Inhalt.
Die Arbeit des Förderverein Roma, des Trägers der Ausstellung, wird auf drei Tafeln vorgestellt.
Begleitprogramm
14. August 2009
19.30 Uhr // Gespräch mit Lothar Winter, Amari Bacht, Selbsthilfeorganisation, Roma-Union in Ffm.
27. August 2009
19.30 Uhr // Gespräch mit Dr. Peter Sandner, Historiker und Autor des Buches Frankfurt-Auschwitz
3. September 2009
19.30 Uhr // Gespräch mit Ursula Rose, Romni aus Ffm. und Leika Peter Böttcher, Roma-Union Ffm.
11. September 2009
19.30 Uhr // Abschlusskonzert mit Mitgliedern des Philharmonischen Verein der Roma und Sinti, Ffm.
Beitrag zur Ausstellung
Der 2. August 2009 markierte den 65. Jahrestag der Liquidation des »Zigeunerlagers« Auschwitz. Allein in einer Nacht wurden etwa 3.000 Roma und Sinti im Rahmen der beabsichtigten vollständigen Vernichtung aus so genannten rassischen Gründen vergast. Drei Monate vorher widersetzten sich die Männer, Frauen und Kinder in Auschwitz erfolgreich dem ersten Versuch der massenhaften Ermordung. Über eine halbe Million Roma und Sinti wurden in der NS-Zeit geplant, gezielt und mittels einer industriell funktionierenden Maschinerie getötet. Die Ausstellung »Frankfurt Auschwitz« wurde erstmals anlässlich dieses Gedenktages am 11.8.2009 im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt am Main präsentiert. Der Anspruch der Initiatoren von »Faites votre jeu« vor fünf Jahren deckte sich mit dem Verständnis der Ausstellung. Lebendige, gesellschaftsrelevante Kritik, historische Auseinandersetzung, Unabhängigkeit, Authentizität und Courage formulieren gemeinsame Grundsätze. Dass damals gleichzeitig die Geschichte des Klapperfeldes mit Schwerpunkt Nationalsozialismus und Nutzung nach 1945 bis hin zum Abschiebeknast eindrucksvoll dokumentiert wurde, stellte eine kongeniale Ergänzung dar. Die Auseinandersetzungen mit der Kommune und der Kampf über den Bestand und die freie Gestaltung des Hauses zeichneten die politischen Rahmenbedingungen ab.
So entwickelte sich der Beginn einer Präsentationsreihe der Ausstellung Frankfurt-Auschwitz mit den späteren Stationen Paulskirche, Gedenkstätte 9. November, DGB-Haus, Alte Oper, IG-Farben-Haus, Uni-Bockenheim und – über Frankfurt hinaus – Dokumentationszentrum der deutschen Sinti und Roma, Heidelberg, Brüssel, anlässlich einer EU-Tagung zur Situation von Roma, Dokumentationszentrum Prora auf Rügen und Stadtbücherei, Bad Homburg. Weitere Orte für die nächsten beiden Jahre werden Wiesbaden, Saarbrücken, Frankfurt, Börsenverein des deutschen Buchhandels und Seeheim-Jugenheim sein.
Nur wenige überlebten und sind nach 1945 allzu oft mit den schnell entnazifizierten Täten in Ämtern und Entschädigungsbehörden konfrontiert worden. An ihrer Haltung gegenüber den Opfern hatte sich, abgesehen von der nicht mehr existierenden Möglichkeit der Eliminierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, in der Regel kaum etwas geändert. Die Erfahrung der zweiten Verfolgung prägt die Überlebenden und deren Kindeskinder bis in die heutige Zeit. Die Konfrontation mit rassistischen Grundhaltungen, mit diskriminierender Praxis und unmenschlichen Generalisierungen gehören zum Alltag der Roma und Sinti. Zugewiesene Rollen, wie die des Sündenbocks, führen seit Jahrzehnten zu Überfällen, Pogromen und Mord – vor allem in den osteuropäischen Ländern. Es gehört mittlerweile wieder zum guten Ton, auch in aufgeklärten Kreisen, von dem »Zigeuner« zu reden und jenseits aller historischen Realitäten und Verpflichtungen – insbesondere in Deutschland – die angeblich charakterbedingten persönlichen Verfehlungen, die vermeintlich »unsozialen« Verhaltensweisen der Roma als Gründe für ihre fortgesetzte Unterdrückung anzuführen. Niemand riskiert etwas heut zu Tage, wenn er sich auf abfällige, verachtende und verallgemeinernde Art und Weise gegenüber einer Gruppe von Menschen äußert, die mittlerweile die größte ethnische Minderheit in Europa darstellt. Die Ausstellung »Frankfurt Auschwitz« ist vor dem beschriebenen Hintergrund entstanden und beabsichtigt, in Form eines dokumentarischen und künstlerischen Teils, Begriffe wie Schuld, Verantwortung, Individualität, Vernichtung, Widerstand und Perspektive exemplarisch dazustellen.
Über allem, vor allem und allem zugrunde liegt der Zivilisationsbruch Auschwitz. Er bezeichnet programmatisch den Zugang zum künstlerischen Teil. Kasimir Malewitsch malte sein »schwarzes Quadrat« 1915. Es wurde zum Sinnbild der Moderne. Das schwarze Quadrat löste die Ikone von »Gottes Dreieck« ab, welche die über Jahrhunderte währende Finsternis dominierte. Die Moderne zerbrach fünfundzwanzig Jahre später in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis. Die Auslöschung der europäischen Juden, der Roma und Sinti und Millionen anderer zerschnitt den Weg der Moderne, der hätte tragen können. Die Bilder sind Aufschrei und Gedenken gegenüber den Ermordeten. Der Holocaust steht aller Auseinandersetzung vor. Die Bilder sind zugleich Annäherung und Zerstörung.
So entgrenzt das Verbrechen der Vernichtung durch Deutsche während der Zeit des Nationalsozialismus war, so radikal war die Zerstörung der Kultur. Die Darstellung ist Entgrenzung. Die Auslöschung begreifen zu wollen, setzt den Willen der Fixierung auf das Geschehene voraus und macht zugleich deutlich, dass das Geschehene der Fixierung nicht standhält.
Die Ausstellung Frankfurt – Auschwitz zeigt in ihrem künstlerischen Teil Bilder über die Vernichtung der Einzelnen in abbildlicher (verfremdeter) Form und über die Auslöschung in abstrakter Form. Das erste Bild »Das kaputte Quadrat« (Hoffnung, Auslöschung, Vernichtung, Zerstörung der Moderne) eröffnet den Zugang zur Darstellung. Im Zentrum der Bilder-Auseinandersetzung stehen Roma und Sinti, die Liquidation des »Zigeunerlagers« Auschwitz-Birkenau. Die Bilder zeigen Wunden, die offen sind, Zerstörung, die bleibt, Stätten der Tat, Tote, die nicht schweigen. Es sind Bilder der Vernichteten. Die Auslöschung hat Wunden in die innere und äußere Natur der Menschen geschlagen, die gegenwärtig sind. Sie sind Zeugnis der Trauer und der Anklage, sind Schrei, der nicht verstummt.
Durchdringung und Ambivalenz in Inhalt und Form, Zweifel während des gesamten Herstellungsprozesses, Zerstörung, Zerfall, Auseinandersetzung Bild für Bild waren die Ebene, auf der die Bilder entstanden sind, die einzelne Ermordete und die Gesamtheit aller Einzelnen zum Gegenstand haben. Die Vernichtung ist zugleich abstrakt/objektiv und bildlich/subjektiv. Der Tod der ermordeten Einzelnen stellt in vielen der ausgestellten Bilder eine Einheit mit der Vernichtung aller dar.
Nicht der Anspruch einer historisch differenzierten und komplexen Dokumentation bewegte die Initiatoren. Es war vielmehr zugleich die überschaubare und provokative, die nachvollziehbare und widersprüchlich zerrissene Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti im Nationalsozialismus sowie deren Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart. Auch die Begleitung der Ausstellung durch Veranstaltungen mit Roma und Sinti – die die Erfahrung von Ignoranz und Massenmord und dessen traumatischen Konsequenzen für Generationen ebenso authentisch schildern wie die Darstellung der jahrelangen Bürgerrechtsarbeit und der individuellen Lebensentwürfe – demonstriert neben Dokument, Bild, Film und Kunst den Kern der Gegeninformation zum herrschenden Klischee gegenüber dem »Zigeuner«.
Joachim Brenner, Förderverein Roma, Frankfurt am Main
Bernd Rausch, Künstler, Saarbrücken
Quelle: Publikation »Fünf Jahre Faites votre jeu!«, erschienen im August 2013 (Seiten 30/31)