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Karl Veidt

Karl Veidt war Pfarrer der Paulskirche. Er gilt als Deutsch­nationaler und war vor 1933 Mitglied der Deutschen Nationalen Volkspartei (DNVP), für die er bis 1929 im Reichstag saß. Er distanzierte sich zwar vor 1933 von der Partei wegen deren Annäherungen an Hitler, übte allerdings auch nach 1933 keine dezidierte Kritik an den Nationalsozialisten. Auseinandersetzungen führte er nur kirchenintern.

Dennoch wurde Veidt zweimal von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Klapperfeld gebracht. Das erste Mal für 4 Tage am Tag nach Fastensonntag 1937 und das zweite Mal im Februar 1941 für 4 Wochen.

Die erste Verhaftung 1937

Nach der ersten Verhaftung wurde Veidt gemeinsam mit seinen Kollegen Fricke und Klein zur Vernehmung in die Bürgerstraße vorgeladen. Von dort wurden sie anschließend ins Polizeigefängnis Klapperfeld gebracht. Grund für die Verhaftung war offenbar eine ein halbes Jahr zurückliegende Rede Veidts, deretwegen ihm Defätismus und Untergrabung des deutschen Wehrwillens vorgeworfen wurde, weil er darin unter Bezug auf Dibelius die Frage des Kriegs vom christlichen Standpunkt aus nicht allein mit der Pflicht gegen Volk und Vaterland und im Gehorsam gegen die Obrigkeit sah.

»Die Vernehmung nahm zum Teil erregte Formen an. Zum Schluß wurde mir erklärt, ich sei verhaftet. Auch die beiden anderen Mitbrüder verfielen der Verhaftung. Fricke als Mitverfasser der Erklärung, Klein, weil er sie verlesen hatte. Man verfuhr im übrigen glimpflich mit uns. Wir wurden in der ›grünen Minna‹ ins Gefängnis gebracht. So machte ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man zum ersten Mal als Gefangener erlebt, wie sich Gefängnistor und Zellentür vor einem öffnen und hinter einem schließen. Ich wußte aber, wer ich war, und war ganz getrost. Fricke hatte von einem Beamten gehört, wir würden etwa 10 Tage in Haft bleiben. Ich hatte an dem Tage ziemlich gehungert. An der Pforte mußte ich alles abgeben, was ich in der Tasche hatte, bekam die Hosenträger und den Schlips abgenommen. Meine Frau wurde angerufen, zwei meiner Kinder brachten mir warme Kleidung und etwas Wäsche ins Gefängnis. In der Zelle sah ich mich ein bißchen um, 3.50 m in der Länge, etwa 2 m breit, links die Pritsche, bei Tag hochgekippt, bei Nacht herunter. Rechts an der Wand eingelassen ein Tisch, ein Stuhl, beide bei Nacht hochgeschlagen, weil bei heruntergelassenem Bett sonst kein Raum gewesen wäre. Das kleine Fenster in unerreichbarer Höhe. Die schwere Holzpritsche hatte als Unterlage nur eine stark durchgelegene Matratze, die man sich erst zurechtliegen mußte, so daß in der ersten und zweiten Nacht kaum an Schlaf zu denken war. Uhr, Taschenmesser sowie ein Neues Testament konnte ich trotz meiner Bitte nicht bekommen. Zum Glück hatte der Beamte, der meine Taschen abfühlte, meinen Amtskalender, in dem die Losungen standen, nicht gefunden. Diese kurzen Worte der Heiligen Schrift, die gerade in jenen Tagen gut auf meine Lage paßten, haben mich wunderbar gestärkt. Tageslauf: 6 Uhr aufstehen, Zelle reinigen, dann schwarzen Kaffee mit trockenem Brot, etwa 11 Uhr Spaziergang von einer halben Stunde auf dem kleinen Gefängnishof, 1 Uhr Mittagessen, 5 Uhr Abendessen. Um 6 Uhr konnte man die Pritsche herunterlassen und sich hinlegen. Ungefähr alle halbe Stunde wurde von außen das Licht an der Decke angedreht, damit der Beamte durch das Guckloch an der Tür einen Blick hereinwerfen konnte. Die schlimmsten Feinde, die einen Gefangenen belasten, sind die Ungewißheit, die Untätigkeit und die Unmöglichkeit, die Tageszeiten festzustellen. Auch der Verzicht auf sonstige selbstverständliche Gepflogenheiten wirkt quälend. Man kann sich keine Nägel schneiden, man ist gezwungen, die Pellkartoffeln mit den Fingernägeln zu schälen. Bei meiner späteren Haft lernte ich einige Tage das Untersuchungsgefängnis kennen, in dem man es in manchen Beziehungen besser hatte.

So bekam man z.B. für das Essen ein Besteck, das dann sofort wieder abgeholt wurde. Für Raum und Zeiteinteilung hatte ich bald eine besondere Methode. Ich stellte fest, wieviel Schritte ich in meiner Zelle für einen Zeitraum von 72 Pulsschlägen brauchte und wie oft ich dabei in meiner Zelle hin- und herzugehen hatte; damit konnte ich erstens leicht berechnen, wieviel Schritte ich für 10 Minuten, eine halbe Stunde oder eine Stunde brauchte und welche Entfernungen ich dabei zurücklegte. So konnte ich in Gedanken Gänge in meiner Gemeinde oder in der Umgegend von Frankfurt machen. Das bedeutete eine große Kraftquelle. Es kamen die Gedanken an die Lieben zu Hause und an die Gemeinde dazu. So versuchte ich innerlich, die Eintönigkeit und die schweren Gedanken zu überwinden. Diese erste Haft endete schon nach vier Tagen. Wir drei Verhafteten hatten am darauffolgenden Sonntag unsere Konfirmation. Bei der Konfirmation, die ich zu halten hatte, waren zwei meiner Kinder beteiligt. Dieser Umstand hat bei unserer verhältnismäßig schnellen Entlassung mitgewirkt. Wir wurden mit scharfen Verwarnungen in Freiheit gesetzt. Später sollte ich die Gefängniszelle etwas gründlicher kennenlernen.«

Die zweite Verhaftung 1941

»Erst im Gefängnis erfuhr ich den Grund meiner Verhaftung: Begünstigung eines Halbjuden durch Falschbeurkundung eines Ahnenpasses. Als ich hörte, daß es sich nur um den Paß, nicht um Politisches oder Kirchenpolitisches handele, war ich sehr beruhigt, und ich wußte, daß bei der Beurkundung des Passes nichts Unrechtes geschehen sein konnte.[*] Wieder kam die übliche Prozedur an der Pforte. Diesmal ließ man mir nichts, was mir die Eintönigkeit der Zelle hätte erleichtern können. Die einzige Ausnahme bildeten zwei Zeitungen und einige Hefte der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, die mir meine Frau durch einen hilfreichen Polizeibeamten in die Zelle schmuggelte. Ich wußte ihren Inhalt fast auswendig, als ich aus der Zelle kam. Meine Töchter, Klärchen und Hede, hatten mir inzwischen einen anderen Anzug gebracht. Als sie mich durch die eiserne Gittertür von fern sahen und mir ›Papa‹ zuriefen, klang es mir wie Engelsstimmen. Dann nahm mich Zelle 43 wieder auf. Wiederum derselbe unheimliche Augenblick, in dem sich die eiserne Tür hinter einem schließt, die nur von außen wieder geöffnet werden kann.«

[*] Auch die weiteren Ausführungen Veidts in seinen Memoiren deuten darauf hin, dass er die Unterzeichnung des Ahnenpasses nicht als bewusste Hilfeleistung verstanden hat, sondern nur deshalb unterzeichnete, weil er auf die genaue Prüfung der Unterlagen durch seine Gemeindehelferin vertraute.

Quelle: Werner Becher (Hg.): Karl Veidt (1879–1946). Paulskirchenpfarrer und Reichstagsabgeordneter, Darmstadt und Kassel 2006