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Herbert »Berry« Westenburger

Herbert »Berry« Westenburger wurde als 18-jähriger von der Gestapo verhaftet, weil er zur bündischen Jugend gehörte. Nach dem Verbot sämtlicher Jugendorganisationen außer der Hitlerjugend 1933 gründeten etwa 20 Jugendliche, die sich der Hitlerjugend (HJ) nicht anschließen wollten, die »autonome jungenschaft frankfurt«. Sie machten Fahrten und veranstalteten gemeinsam Sing- und Leseabende. Dabei verfolgten sie keine politischen Ziele. Dennoch gerieten sie immer wieder in handgreifliche Auseinandersetzungen mit HJlern, die einen eigenen Streifendienst eingerichtet hatten.

Aufgrund immer strengerer Kontrollen der NS-Behörden und zum Schutz vor Übergriffen durch die HJ gründete »Berry« mit einigen Freunden den »Bündischen Selbstschutz«. Deren intensive Vernetzungsarbeit mit Bündischen in anderen Städten Deutschlands sollte aber nicht allzu lange währen, denn im September 1938 verhaftete die Gestapo zahlreiche Mitglieder, darunter auch Herbert Westenburger.

»Berry« war in verschiedene Städte gereist und wurde von der Gestapo gesucht, als er am 23. September 1938 nach Frankfurt zurückkam. Seine Mutter, die bereits von der bevorstehenden Verhaftung wusste, versuchte ihn noch zu warnen, indem sie sich mit ihm nicht zu Hause, sondern in einem Café traf. Doch kurze Zeit später betraten zwei Gestapo-Beamte das Café, nahmen Berry fest und brachten ihn ins Polizeigefängnis Klapperfeld.

Ankunft im Klapperfeld

»Da saß ich nun und wußte gar nicht, wie mir geschah. Über das ›Klapperfeld‹ hatte ich bisher nur Greuelgeschichten gehört. Die Gestapo hätte hier das Sagen, die Verhafteten würden manchmal über Wochen und Monate festgehalten. Tag und Nacht, hieß es, würden Verhöre durchgeführt, oft auch geprügelt. ›Sonderbehandlung‹ nannte man das. Die Gestapo führte keine Eingangslisten, so daß niemand genau wissen konnte, wie viele Menschen im ›Klapperfeld‹ festgehalten wurden.«

Die Zelle

»Die Dämmerung ließ nur noch die Umrisse des spärlichen Zellenmobiliars erahnen. Tisch, Hocker, Wandregal und einen Eisenkübel mit Deckel. Aus letzterem roch es in der Septemberwärme übel. Auf den Ruf ›Kübeln!‹ mußten die Inhaftierten dieses Ungetüm vor die Zellentür hieven. Eine Wasserkanne, deren Inhalt dem Waschen und Spülen diente, wurde später dazugestellt. Das Bett, wenn man es überhaupt so bezeichnen konnte, war eine Holzpritsche. Schwere Scharniere an der Wandseite ermöglichten ein Hochklappen. An Kopf- und Fußende befanden sich je eine dicke Kette, die das freischwebende Brettergestell in der Waagerechten hielten. Hochgeklappt rastete ein Schnappverschluß, ähnlich dem an Kofferschlössern, hörbar ein. Von 7.00 bis 19.00 Uhr durfte das Bettgestell nicht herabgelassen werden. Man saß tatsächlich seine Zeit ab. Sprüche und Kalendarien, eingeritzt in die dunkelgrüne Wand, konnte man nach dreimaligem Lesen auswendig daherbeten. Zoten und Unschuldsbeteuerungen – bei einigen wenigen mußte ich schmunzeln. ›Otto M. war auch hier.‹ – ›Na, und?‹ meinte ein anderer dazu. Doch das half bewußtem Otto recht wenig.

Der eine singt, der andere pfeift, ein dritter übt sich in Kniebeugen, Liegestützen und Atemübungen, um die Eintönigkeit des Zellendaseins zu überbrücken.«

Kontakt mit anderen Häftlingen

»Der Tag verlief ziemlich eintönig. Hofgang, Verhöre, in der Zelle rumsitzen, aber auch Schikanen aller Art. Abends war man froh wieder eingeschlossen zu werden. Der abendliche Einschluß war ein ersehnter Augenblick. Denn nach Einbruch der Nacht hingen die Inhaftierten an den Zellenfenstern und riefen sich quer über den Hof Nachrichten zu. Der unten patrouillierende Beamte konnte so viel schreien, wie er wollte, und mit Bestrafung drohen – er erntete nur Hohngelächter, weil im Dunkel der unbeleuchteten Hausfassade nicht auszumachen war, wer gerade etwas gerufen hatte.

Auch ich hing am Fenster. Zuerst war es sehr schwierig, aus diesem Stimmengewirr etwas herauszuhören. Ich versuchte es mit Pfeifen. Unser Gruppenpfiff war Teil des ukrainischen Lieds ›Gehe nicht, o Gregor…‹ Und kaum zu glauben, ich erhielt eine Antwort aus dem Dunkel. Der Hofposten schrie wütend gegen unser Pfeifen an. Gegröle ringsum und der Ruf: ›Halt’s Maul, du Drecksack‹ ließen ihn vorerst verstummen. ›Janek, bist du da irgendwo?‹ versuchte ich es noch mal.

›Hier oben, Berry. Der Lange liegt zur Straßenseite und kann uns nicht hören‹, erkannte ich Berts Stimme über mir. Gejohle und Rufen, das wütende Schimpfen des Hofpostens und der Lärm einer Ju 52, die am nächtlichen Frankfurter Himmel auftauchte, machte eine Verständigung unmöglich. Aber Bert ließ nicht locker.

›Hugo und Pit sind auch hier. Schon über ’ne Woche. Kopf hoch, Alter, wird schon schiefgehen.‹

Ich sprang im gleichen Moment vom Hocker, den ich unter das Fenster gerückt hatte. Gerade noch rechtzeitig, bevor meine Zellentür aufflog. Der alte, gutmütig wirkende Polizeibeamte drohte mit dem Finger.

›Junge, laß dich nicht am Fenster erwischen, sonst muß ich Meldung machen. Und das hätte Folgen. Die lassen nicht mit sich spaßen. Ich tue hier auch nur meine Pflicht, jetzt hau dich in die Koje und halt Ruhe.‹«

[Die Bündischen trugen alle Spitznamen, die bürgerlichen Namen lauteten »Janek«/«der Lange« = Johannes Warczinski; »Pit« = Kurt Schmidt; »Bert« = Norbert Pampel; »Knö« = Hugo Härtling]

Gestapo-Verhör

»Am Montagmorgen war es dann soweit. Ich wurde um sieben Uhr vom ›Klapperfeld‹ in die Bürgerstraße verfrachtet. Dort befand sich die Frankfurter Gestapoleitstelle. Die Häftlinge wurden durch einen unscheinbaren Hintereingang eingeliefert und in enge Eisenkäfige gezwängt. Es gab keine Sitzgelegenheiten; sie mußten stehen oder hocken – in einem Käfig, der vielleicht doppelt so breit war wie ein Spind. Stundenlang, auch tagelang und nicht selten im Dunkeln. Dieser Käfig ging mir durch den Kopf, als ich zwischen zwei Beamten auf dem Rücksitz durch die Frankfurter Innenstadt kutschiert wurde. Aber mir blieb diese Tortur erspart, denn in der Bürgerstraße angekommen, fuhren wir mit einem Aufzug in den dritten Stock. ›Zimmer 31, Referat 11, Mondorf‹, stand an der Tür.

›Da haben wir ihn ja.‹ Der Mann hinter dem Schreibtisch war Mondorf. Es war derselbe, der mich drei Tage vorher festgenommen hatte, mittelgroß, bleich und mit dem damals üblichen kurzen Haarschnitt. Wortlos spannte er einen Bogen Papier in die Schreibmaschine.

›Name, geboren, wo? Beruf? Name des Vaters, Name der Mutter, geborene?‹ Dann drehte er das Blatt ein wenig höher und begann vorzulesen.

»Vorgeführt, erscheint der Vorgenannte und gibt, mit dem Gegenstand der Vernehmung bekannt gemacht und zur Wahrheit ermahnt, an.‹ Ich war vollkommen verdutzt. Was sollte das alles? Außerdem hatte er mir nicht erklärt, was der Gegenstand der Vernehmung sein sollte. Ich konnte es mir nur denken. Dann ging es los.

›Und nun zur Sache. Wer gehört zu der Organisation, außer dir und deinen Frankfurter Freunden? Na, wird’s bald?‹ Jemand stand hinter mir, ich konnte ihn nicht sehen, hörte aber, wie er hin und her ging. Bei jeder Antwort blieb er mit einem Ruck stehen, als ob er nur so zuhören könnte. Mondorf schaute ab und an über mich hinweg und schüttelte den Kopf, wenn ihm meine Antwort nicht gefiel.

›Was, nur gesungen und gewandert? Das gibt’s doch nicht, der Kerl lügt ja, ohne rot zu werden.‹ Doch was sollte ich machen, es entsprach der Wahrheit. Ich starrte auf das Führerbild, das damals in jeder Amtsstube zu hängen hatte. Es hing ziemlich schief an der Wand, schon etwas verblichen und mit Mückenschiß auf der Scheibe.

›Wir sperren dich ein, bis du schwarz wirst. Im KZ wirst du schon reden lernen, ich versprech’s dir. Also los jetzt, Namen will ich hören, verstehst du, Namen!‹ Er schwieg eine Weile, dann brüllte er drohend los.

›Warum hast du so viele Stempel in deinem Fahrtenbuch, aus jeder Stadt, hast wohl Post dort hinterlegt, was?‹ Dabei nahm er mein Fahrtenbuch und hielt es triumphierend hoch.

›Nein, ich sammele die Stempel nur, um zu beweisen, daß ich tatsächlich in der Stadt gewesen bin. Die Stempel von der Reichspost hab ich genommen, weil sie ein Tagesdatum haben. Das ist alles.‹

›Das ist doch alles Quatsch, Datumsstempel! Einer von euch war doch in der kommunistischen Jugend. Und der Koebel – wie heißt der bei euch doch gleich – Tusk. Der war auch dabei. Also los, wer gab euch die Anweisungen?‹ So vergingen viele Stunden. Mal leise und eindringlich, mal laut und brüllend versuchten Mondorf und der andere, etwas aus mir herauszuquetschen, das wir wirklich nicht getan hatten.

›Abführen, in den Keller mit ihm‹, schrie Mondorf irgendwann, knallte den Aktendeckel zu und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich wurde von einem Gestapobeamten eine Kellertreppe hinuntergeführt – in den Eisenkäfig. ›Aber nur für kurze Zeit, dann gab es was zu futtern. Gegen Abend brachte man mich wieder zurück ins ›Klapperfeld‹. An der Pforte traf ich Pit, der in Begleitung von zwei Beamten an mir vorbeistolperte. Er sah zerzaust und verweint aus. Ihn und die anderen hatte man schon vor 10 Tagen festgenommen. Nun kam er wohl dran. Die Verhöre waren also noch nicht abgeschlossen. Sie schienen tatsächlich von der Idee besessen, uns zu kommunistischen Widerstandskämpfern zu machen. Wenn sie das schafften, dann landeten wir alle in Dachau oder Buchenwald.«

Gerichtsverhandlung

»Inzwischen hatte meine Mutter frische Wäsche gebracht und einen Rechtsanwalt aufgetrieben, der mich herauspauken sollte. Ein hoffnungsloses Unterfangen, solange die ›Ermittlungen‹ nicht abgeschlossen waren. Zwei Tage später wurde ich in einen großen Raum gebracht, der neben dem Zellentrakt lag. Mondorf, ein Richter und jemand, der Protokoll führte, erwarteten mich.

›Herbert Westenburger, auf Grund deines Vorlebens besteht Flucht- beziehungsweise Verdunkelungsgefahr. Weitere Untersuchungshaft ist also gerechtfertigt und angezeigt.‹ Der Richter nickte, Mondorf drehte sich zum Protokollanten und fuhr fort: ›Überstellung bis auf weiteres in die Untersuchungshaftanstalt Hammelsgasse.‹ Das war’s, dachte ich, Untersuchungshaft, das kann ja heiter werden. Wieder in der Zelle, sah ich durch die halboffene Tür, wie sich Bert und Hugo, die ebenfalls ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackten, etwas zuriefen.«

Nach einigen Tagen wurden »Berry« und seine Freunde in das Untersuchungsgefängnis in der Hammelsgasse überstellt, wo die Haftbedingungen besser waren.

Am 5. November 1938 wurden sie aber wieder zurück ins Polizeigefängnis Klapperfeld gebracht, »auf Schub«, wie es hieß. Schließlich wurden sie im Frühjahr 1939 (vermutlich im April) plötzlich entlassen. Das Verfahren wurde aber erst am 9. Oktober 1939 endgültig eingestellt.

Quellen: Westenburger, Herbert: Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel. Versuche jugendlicher Selbstbestimmung. Baunach 2008, S. 83–98. | Westenburger, Herbert: Platoff preisen wir den ­Helden. In: Matthias G. Von Hellfeld (Hg.): Davongekommen! ­Erwachsenwerden im Holocaust. Frankfurt 1990, S. 3670.